Konservative Behandlung bei Strabismus (Schielen) ohne Operation

Strabismus (Schielen) bezeichnet eine Fehlstellung der Augen, bei der die Sehachsen nicht auf dasselbe Objekt gerichtet sind. Besonders im Kindesalter ist es wichtig, Schielen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, damit es nicht zu einer bleibenden Schwachsichtigkeit (Amblyopie) des öfter abweichenden Auges kommt. Glücklicherweise stehen verschiedene konservative Behandlungsmethoden (also nicht-chirurgische Therapien) zur Verfügung, um die Augenstellung zu verbessern und das beidäugige Sehen zu fördern.

Das Wichtigste in Kürze

Brillenkorrektur hilft oft:

Mit der richtigen Brille kann bei vielen Kindern das Schielen deutlich verringert oder sogar ganz behoben werden. Vor allem, wenn eine unentdeckte Weitsichtigkeit der Auslöser ist (akkommodatives Innenschielen).

Amblyopie früh behandeln:

Wenn durch das Schielen ein Auge „weniger sieht“, muss diese Sehschwäche (Amblyopie) behandelt werden. Dazu wird meist das stärkere Auge zeitweise mit einem Pflaster abgedeckt, damit das schwächere Auge trainiert wird. Alternativ können Atropin-Augentropfen ins gute Auge gegeben werden, um dessen Sehschärfe vorübergehend zu reduzieren, sodass das schwächere Auge nun vermehrt gebraucht und damit trainiert wird.

Übungen können unterstützen:

Orthoptische Übungen (Sehtraining) helfen in bestimmten Fällen, zum Beispiel bei einer Konvergenzschwäche der Augen (Schwierigkeit, die Augen beim Nahsehen nach innen zu richten).

Vorsicht bei „Wunder-Sehtraining“:

Über die etablierten Therapien hinaus angebotene Sehtrainings sind oft nicht wissenschaftlich belegt. In den meisten Fällen bringt ein solches kommerzielles Training keinen nachweisbaren Zusatznutzen.

Operation nur bei Bedarf:

Eine Augen-OP wird erst empfohlen, wenn konservative Therapien ausgeschöpft sind oder der Schielwinkel so gross bleibt, dass dadurch kein beidäugiges Sehen möglich ist. Die Operation an den Augenmuskeln ist in der Regel risikoarm und kann die Stellung der Augen deutlich verbessern, falls Brille, Pflaster & Co. nicht ausreichen.

Brillenkorrektur und optische Hilfen

Bei vielen jungen Schielpatienten kann eine passende Brille die Augenstellung deutlich verbessern. Gerade ein Innenschielen (Esotropie), das erst nach dem ersten Lebensjahr auftritt, wird häufig durch unentdeckte Weitsichtigkeit verursacht. In solchen Fällen hilft die Korrektur der Fehlsichtigkeit mit der „richtigen“ Brillenglasstärke oft erstaunlich gut: Durch die Brille entspannt sich die Überanstrengung beim Fokussieren, und das Kind kann plötzlich beide Augen geradeaus richten.

Eine Brillenbehandlung ist sogar schon im ersten Lebensjahr möglich, wenn es medizinisch notwendig ist. Wichtig ist dabei, dass die Brille kindgerecht angepasst wird und bequem sitzt. So akzeptieren selbst Kleinkinder die Sehhilfe meist sehr schnell.

Prismenbrillen

Neben normalen Korrekturbrillen gibt es Prismenbrillen als optische Hilfe. Diese Spezialgläser enthalten Prismen, die das Bild so verschieben, dass Doppelbilder vermieden werden und die Augen weniger stark abweichen müssen.

Bei kleinen Schielwinkeln oder latenten Schielneigungen (Heterophorie) ist in den meisten Fällen keine Behandlung notwendig. Bei Beschwerden, z.B. Kopfschmerzen oder schnellem Ermüden, können Prismenbrillen die Beschwerden lindern. Es ist jedoch wichtig, dass diese Korrekt (Augenärzt:in, Orthoptist:in) angepasst werden.

Ausserdem stossen Prismen bei grösseren Winkelabweichungen an ihre Grenzen. In solchen Fällen reicht eine Brille allein nicht aus, um das Schielen vollständig zu korrigieren.

Gerade Kinder sollten bei Schielverdacht früh augenärztlich untersucht werden. Der Augenarzt oder die Augenärztin (bzw. Orthoptist:in) prüft zunächst die Brechkraft der Augen und verschreibt bei Bedarf eine Brille. Mit Brillengläsern, die alle vorhandenen Fehlsichtigkeiten korrigieren, schafft man die Grundlage für weitere Behandlungen. Oft zeigt sich schon in den ersten Wochen der Brillentragezeit, ob und wie stark das Schielen durch die Brillenkorrektur zurückgeht. Bei vielen Kindern genügt die Brille als erste Therapiestufe, um das Schielen wesentlich zu verbessern.

Okklusionstherapie: Augenpflaster und Atropin bei Amblyopie

Wenn ein Kind schielt, übernimmt oft ein Auge die führende Rolle beim Sehen, während das andere Auge „ausgeschaltet“ wird (das Gehirn unterdrückt die abweichenden Seheindrücke). Dadurch entwickelt sich in dem weniger genutzten Auge eine Amblyopie (Schwachsichtigkeit).

Diese Sehschwäche betrifft einzig die Funktion des Auges und nicht die Anatomie d.h. das Auge an sich ist gesund, aber es hat durch mangelndes Training nicht gelernt, scharf zu sehen. Um eine Amblyopie zu verhindern oder zu behandeln, muss das schwächere Auge gezielt gefördert werden. Dies geschieht mit der klassischen Okklusionstherapie, bei der das bessere Auge zeitweise abgeklebt wird.

Augenpflaster

Beim Pflasterkleben wird je nach Schweregrad und Alter ein bestimmter Rhythmus eingehalten. Meistens sind es täglich mehrere Stunden. Bei jüngeren Kindern ist die Abdeckzeit typischerweise kürzer. Bei tiefer Amblyopie länger.

Wichtig: Das Pflaster kommt auf das stärkere (besser sehende) Auge, damit das schwächere Auge zum „Arbeiten“ gezwungen wird. Durch dieses Training gewinnt das benachteiligte Auge allmählich an Sehschärfe.

Die Abdeckung erfolgt nie ununterbrochen und immer nur so lange wie nötig, sodass keine neue Schwachsichtigkeit am guten Auge entsteht.

Während der Pflasterzeiten sollte das Kind idealerweise visuell anspruchsvolle Nahaktivitäten ausüben (Malen, Puzzeln, Spielen), um das schwache Auge maximal zu fordern.

Pflasterkleben erfordert Disziplin

Eltern sollten darauf vorbereitet sein, dass das tägliche Pflasterkleben Disziplin erfordert. Gerade Kleinkinder protestieren anfangs oft dagegen oder versuchen, das Pflaster abzuziehen. Hier ist Geduld und Konsequenz gefragt, und natürlich viel Zuspruch. Die Mitarbeit der Eltern ist entscheidend dafür, dass die Okklusionszeiten wie verordnet eingehalten werden.

Augenärzt:innen und Orthoptist:innen unterstützen die Familie dabei mit Tipps (z.B. spielerische Belohnungssysteme) und passen den Therapieplan immer wieder an die aktuelle Situation an. Manchmal lässt sich in den Schulferien intensiver abkleben als während der Schulzeit, wenn das Kind sein besseres Auge zum Lernen braucht. Solche Faktoren werden bei der Therapieplanung berücksichtigt.

Wichtig ist, regelmässig zur Kontrolle zu gehen: Zeigt sich über Monate eine deutliche Besserung der Sehschärfe, kann die Pflasterdauer reduziert werden. Die Amblyopietherapie erstreckt sich jedoch oft über viele Monate bis Jahre, denn das Sehvermögen muss stabilisiert werden, bis das visuelle System ausgereift ist.

Alternativen zum Augenpflaster

Anstelle eines Hautpflasters gibt es bei Bedarf Alternativen. Einige Kinder vertragen z.B. wegen empfindlicher Haut kein Klebepflaster. In solchen Fällen kann ein Okklusionsschälchen (eine kleine Stoffkappe) über dem Brillenglas getragen werden, um das Auge abzudecken. Hierbei muss jedoch noch besser darauf geachtet werden, dass die Okklusion (Verdecken) vollständig ist und das Kind nicht an der Abdeckung vorbei schauen kann.

Eine andere Möglichkeit sind spezielle Bangerter-Folien, die man auf das Brillenglas des besseren Auges klebt. Diese Folien sind halbtransparent oder undurchsichtig und verringern die Sehschärfe des dominanten Auges, ähnlich wie ein Pflaster. So wird das schwächere Auge ebenfalls zum Einsatz animiert.

Wichtig ist, dass solche Massnahmen immer unter augenärztlicher Kontrolle erfolgen, damit das Training optimal dosiert wird.

Atropin-Augentropfen

Atropin-Augentropfen bieten eine weitere Behandlungsoption bei Amblyopie. Hierbei wird anstelle des Pflasters das gute Auge mit einem Medikament (Atropin 0,5–1% Augentropfen) gezielt in der Sehschärfe verschlechtert.

Ein Tropfen am Wochenende (z.B. 1x Samstag, 1x Sonntag) reicht oft aus, um die Akkommodation (Scharfstellung) des dominanten Auges für mehrere Tage zu schwächen. Das Kind kann dann in der Nähe nicht mehr gut mit dem besseren Auge fokussieren und benutzt automatisch das schwächere Auge intensiver. Je nach Korrektur des stärkeren Auges funktioniert Atropin besser oder weniger gut.

Studien haben bestätigt, dass die Atropin-Penalisation in vielen Fällen genauso wirksam ist wie die Okklusionsbehandlung mit Pflaster. Zudem berichten viele Familien, dass Augentropfen im Alltag einfacher umzusetzen sind, weil das Kind weiterhin beide Augen offen benutzen kann und das sichtbare „Stigma“ Pflaster wegfällt. Tatsächlich war in einer klinischen Untersuchung die Therapie-Treue bei Atropin deutlich höher als beim Pflastertragen.

In der Schweiz wird trotzdem traditionell überwiegend mit Pflaster behandelt. Atropin-Tropfen kommen eher zum Zug, wenn die Pflastertherapie an ihre Grenzen stösst. Zum Beispiel weil ein Kind das Abkleben partout verweigert oder sich in der Schule stark unwohl damit fühlt.

In solchen Fällen kann die Atropin-Penalisation eine familienfreundlichere Alternative sein, die weniger tägliche Konflikte mit sich bringt.

Ein weiterer Vorteil: Bei bestimmten Schielformen, etwa wenn ein latentes Schielen (Heterophorie) unter dem Pflaster entgleisen würde, erlaubt Atropin dem Kind, beide Augen gleichzeitig offen zu halten. So bleibt das beidäugige Sehen erhalten, während dennoch das schwache Auge trainiert wird.

Natürlich müssen Atropin-Augentropfen vom Augenarzt verordnet und überwacht werden. Selten können auch Nebenwirkungen auftreten (z.B. Lichtempfindlichkeit durch die weite Pupille), weshalb diese Therapie sorgfältig angepasst wird.

Im Einzelfall entscheiden Schweregrad der Amblyopie, Alter des Kindes und praktische Erwägungen, welche Methode (Pflaster oder Atropin) vorzuziehen ist. Oft ist es sogar möglich, zwischen beiden abzuwechseln oder zu kombinieren, um den bestmöglichen Effekt zu erzielen.

Orthoptische Übungen und Sehtraining: Was ist sinnvoll?

Orthoptik ist die Lehre von der Sehschulung und Teilgebiet der Augenheilkunde. In speziellen Sehschulen (orthoptischen Abteilungen von Augenkliniken oder Praxen) arbeiten Orthoptistinnen und Orthoptisten, die auf Schielerkrankungen, Amblyopie und Augenmuskelstörungen spezialisiert sind.

Diese Fachleute führen nicht nur Sehtests durch, sondern leiten auch Übungen an und betreuen die Therapie über längere Zeit.

Viele Eltern hören in diesem Zusammenhang von „Sehtraining“ – einem Begriff, der jedoch unscharf definiert ist. Es ist wichtig zu unterscheiden, welche Übungen wirklich hilfreich sind und welche Versprechungen skeptisch zu betrachten sind.

Grundsätzlich können bestimmte Schielarten durch orthoptische Übungen positiv beeinflusst werden. Ein klassisches Beispiel ist die Konvergenzinsuffizienz, eine Form der Schielneigung, bei der die Augen Schwierigkeiten haben, sich beim Lesen oder Nahsehen genug nach innen zu richten.

Konvergenztraining

Betroffene (oft Schulkinder oder junge Erwachsene) klagen über verschwommenes Sehen in der Nähe, Doppelbilder oder Kopfschmerzen beim Lesen. Hier setzt das Konvergenztraining an: Mit gezielten Übungen, z.B. dem „Bleistift an die Nase führen“ (Pencil Push-ups) oder Computerübungen, wird die Fähigkeit trainiert, die Augen nach innen zu bewegen.

Wissenschaftliche Studien (z.B. die CITT-Studie) haben gezeigt, dass eine strukturierte Orthoptik-Therapie die Konvergenzschwäche deutlich verbessern kann.

Idealerweise erfolgt dieses Training unter Anleitung einer Orthoptistin, kombiniert mit Übungen, die zu Hause weitergeführt werden. Viele Patient:innen erzielen dadurch eine nachhaltige Linderung ihrer Beschwerden und können wieder länger beschwerdefrei lesen.

Auch einfache Koordinationsübungen für die Augen (z.B. abwechselndes Fixieren nahe/ferne Objekte) kommen zum Einsatz, um die Fusion der beiden Augenbilder zu fördern.

Andererseits gilt: Nicht jede Form von Schielen lässt sich „wegtrainieren“. Wichtig zu wissen: Schulmedizinisch anerkannte Therapien beim Schielen sind vor allem Brille, Okklusion/Atropin und gezielte orthoptische Übungen (wie oben beschrieben). Darüber hinausgehende „Trainings“ sind in den allermeisten Fällen nicht notwendig und ihr Nutzen ist umstritten. Seriöse Augenarztpraxen orientieren sich an den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und bieten nur etablierte Methoden an. Nicht evaluierte Sehtrainingstherapien werden dort in der Regel nicht eingesetzt. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen ebenfalls nur die Kosten für bewährte Behandlungen, nicht für experimentelle Trainingsmethoden.

Sehen lernen ist ein integraler Bestandteil der kindlichen Entwicklung ist. Man schätzt, dass über 50% des menschlichen Gehirns ständig mit dem Verarbeiten visueller Reize beschäftigt sind. Alles, was ein Kind mit offenen Augen tut (Spielen, Basteln, Herumtoben auf dem Spielplatz, Bücher anschauen), fordert und fördert das visuelle System enorm.

Dieser natürliche Lernprozess ist in den meisten Fällen völlig ausreichend, um das beidäugige Sehen maximal zu stimulieren. Extra-Übungsprogramme bringen hier kaum einen zusätzlichen Gewinn, solange das Kind aktiv am normalen Leben teilnimmt und die medizinischen Grundtherapien (Brille, Okklusion etc.) erfolgen.

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Haben Sie weitere Fragen zu Strabismus und den möglichen Behandlungen oder möchten Sie einen Beratungstermin vereinbaren? Unser Team der FIRST SIGHT Augenpraxis direkt am Hauptbahnhof Zürich steht Ihnen gerne zur Verfügung.

Weiterführende Informationen

Schielen: Ursachen, Arten und Symptome

Schiel-OP bei Kindern: Alles zur Strabismusoperation bei Kindern

Strabismusoperation bei Erwachsenen

Nach der Schiel-Operation: Heilungsverlauf, Beschwerden & Kontrolle

Dr. Stefan Langenegger, Augenarzt Zürich

Dr. Stefan Langenegger

Behandelnder Augenarzt

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